Dienstag, 21. Februar 2012



Ein paar Gedanken zum Bedingungslosen Grundeinkommen.

Ich lese in letzter Zeit in diversen Medien immer wieder Artikel zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) oder auch "Bürgergeld", wie es unter anderem in der Schweiz genannt wird.

Recherchen im Internet zeigen schnell sehr deutlich, dass das kein neues Thema ist, das aber in den letzten 10 Jahren immer häufiger angedacht und diskutiert wird.

Dennoch fällt mir immer wieder auf – im Gespräch vis-a-vis wie auch in neuen Medien – dass viele Menschen noch gar nichts davon gehört haben oder sich nie die Mühe gemacht haben, sich näher damit auseinander zu setzen.

Daher hier meine Meinung dazu. Ich bin kein Ökonom, kein Soziologe und kein Politikwissenschaftler. Ich sehe mich gerne als interessierten Demokraten, wahrscheinlich bin ich aber nur ein Phantast mit Visionen.
Alle hier gemachten Aussagen sind rein subjektiv aus meinem Empfinden heraus und beziehen sich auf Vorschläge, Ideen, Fragen, Argumente und Gegenargumente, die ich gehört oder gelesen habe. Am Ende des Posts findet ihr ein paar Links zum Thema, die zum Teil wiederum weitere themenbezogene Seiten verlinken.
Einzelne Aussagen habe ich mit Zahlen versehen, die weiter unten zu Quellen verlinkt sind.

So wie ich die Idee hinter dem Bedingungslosen Grundeinkommen verstehe, geht es dabei in erster Linie darum, jedem Menschen die Existenzsicherung und damit ein menschenwürdiges Dasein zu gewähren. Ohne Bedingung. Egal was, wie viel, wie gut und ob er überhaupt arbeitet.
Damit soll die Kluft zwischen Arm und Reich verringert werden, was einerseits an historischen Beispielen belegt einen starken Motor für das Wachstum der Wirtschaft bedeuten würde. 1) Andererseits würden soziale Abgrenzungen schwächer werden, die Chancengleichheit in Bildung, Beruf und Gesellschaft verbessert werden. Menschen, die einer nicht bezahlten, aber wichtigen Aufgabe nachgehen (wie zum Beispiel dem Pflegen bettlägeriger Verwandter oder Nachbarn) wären versorgt, ohne Anträge stellen, Bedürftigkeit nachweisen und die eigene Motivation in Frage stellen lassen zu müssen.

Existenzsicherung heißt hier, jeder Mensch, egal welchen Alters, bekommt eine bestimmte Menge Geld (zum Beispiel 1000 Euro für Erwachsene und 500 Euro für Kinder) im Monat, die ausreicht, seine existentiellen Bedürfnisse zu stillen. Also Wohnraum, Nahrung, Kleidung, Energie, Telefon, Internet und wichtige Versicherungen.
Mehr nicht.
Alles, was darüber hinaus geht, wie ein extravaganter Lebensstil, neues Mobiliar, ein Auto, Urlaubsreisen etc. gilt als Luxus und muss so wie bisher selbst erarbeitet werden.

Kritiker werfen hier ein, dass viele Menschen sich damit begnügen werden, und keiner Arbeit mehr nachgehen wollen werden.
Meiner Ansicht nach werden das nur wenige sein, aber ja: die wird es geben. Und jeder von ihnen macht aufgrund seiner Genügsamkeit einen Arbeitsplatz frei, den ein anderer gerne übernehmen wird, um sich den ein oder anderen Luxus im Leben leisten zu können.

Die Arbeit wird dadurch degradiert, von der existenziell notwendigen zur luxus- oder konsumgewährenden Tätigkeit, wird argumentiert.
Ich bin der Ansicht, dass sie erhoben wird, zur Erfüllung höherer Ziele als nur dessen des nackten Überlebens.
Denn dadurch, dass niemand mehr in der belastenden Notwendigkeit steht, sich und seine Familie zu ernähren, da die Miete gezahlt und der Kühlschrank gefüllt ist, kann ein jeder Mensch sich eine Arbeit suchen, die ihm liegt. Nicht allein am gesellschaftlichen Status und dem zu erwartenden Profit orientiert, sondern der persönlichen Erfüllung dienend kann der Job gewählt und bei Bedarf auch ohne große Sorgen gewechselt werden.
Wer bisher zur Wahrung seines Lebensstandards und zur Einhaltung seiner finanziellen Verpflichtungen einen Netto-Stundenlohn von mindestens 10 Euro benötigte, käme jetzt netto mit 5 oder 6 Euro aus und hätte damit unterm Strich sogar mehr zur Verfügung als bisher oder die Möglichkeit, eine kürzere Wochenarbeitszeit zu wählen.
Firmen sind auf der Suche nach Arbeitnehmern angehalten, ein angenehmes Betriebsklima, Mitbestimmung und weitere "Soft-Benefits" zu bieten, um freie Stellen mit Menschen zu besetzen, die den Job wollen, weil sie ihn gerne machen und nicht, weil er gut bezahlt ist.
Unangenehme Tätigkeiten hingegen müssten entweder automatisiert oder – falls das nicht möglich ist – besser bezahlt werden, um einen größeren Anreiz zu schaffen.

Allein diese Vision ist es meiner Ansicht nach Wert, das BGE als Option für eine bessere Gesellschaft in Betracht zu ziehen:
Das Ansehen eines Menschen ergibt sich aus dem, was er denkt, sagt und tut. Nicht daraus, wie viel er verdient und mit wie viel Pomp und Protz er sich präsentiert.

Da soziale Transferleistungen wie ALG1 und 2, Kindergeld, BAFöG, Wohngeld etc. wegfallen, mit der Zeit aber auch die Rentenzahlungen geringer werden, verringert sich a) der bürokratische Aufwand massiv, b) wird aber auch eine Abgrenzung von ALG-Empfängern (Arbeitslosen-Stigma) 2) unmöglich gemacht. Das fehlende feste Einkommen, das es Obdachlosen häufig unmöglich macht, an eine Wohnung zu kommen, was wiederum verhindert, dass sie sich um eine Stelle bewerben können, gehört dann der Vergangenheit an. Auch Gestürzte könnten, sobald sie sich dazu entschlossen haben, jederzeit wieder aufstehen und von vorne beginnen. Des weiteren wird c) die ARGE vom Beschäftigungs- und Verwaltungsbetrieb für Arbeitslose wieder zu einem echten Arbeitsamt, an das sich Arbeitsuchende wenden können, um der Wirtschaft ihre Produktionskraft zur Verfügung zu stellen, ohne sich dabei wie Bittsteller fühlen zu müssen, da sie ihr Grundeinkommen ja bedingungslos erhalten. Da somit Beschäftigungstherapien zur Schönung der statistischen Zahlen nicht mehr notwendig wären, könnte auch ein viel höherer Standard in der Fort- und Weiterbildung dieser Arbeitsuchenden geschaffen und gehalten werden. Bildungspausen wären leichter zu realisieren, da nur der Zuverdienst, nicht aber das BGE wegfallen würde.

Die wichtigste und am häufigsten gestellte (und in den seltensten Fällen befriedigend beantwortete) Frage ist: „Wo kommt das Geld her?“ oder „Wer soll das bezahlen?“

Dazu gibt es verschiedene Ansätze.
Vorneweg will ich aber nochmal darauf hinweisen, dass das BGE zur täglichen Existenzsicherung gedacht ist und diese im Schnitt nicht deutlich überschreiten sollte. Daraus ergibt sich automatisch, dass dieses Geld jeden Monat wieder komplett in die Wirtschaft zurück fließt, weil es verwendet wird, um Waren und Dienstleistungen zu bezahlen, auf die nicht verzichtet werden kann.

In der Schweiz zum Beispiel nimmt man an, durch ein Anheben des Mehrwertsteuersatzes einen Großteil der Kosten decken zu können. 3) Bedenkt man, dass die Schweiz derzeit einen MwSt-Satz von 8% hat, kann man von bundesdeutscher Sicht aus zugeben, dass da noch ein gewisser Spielraum besteht, der in der BRD deutlich geringer ausfällt.

Ein weiterer Ansatz versucht die Kosten über eine Luxus- bzw. Konsumsteuer zu decken.
Im Großen und Ganzen ist die Idee der Luxussteuer, dass Luxusgüter, wie Kfz ab einer bestimmten Größe, Tabakwaren, Elektronik und andere Waren, die nicht zur Wahrung der Existenz notwendig sind, mit einer hohen Steuer belegt werden. Der Erlös dieser Steuereinnahmen soll voll in die Finanzierung des BGE fließen. Ein ähnliches Modell gibt es in Dänemark bereits seit Jahrzehnten. Es wird dort unter anderem zur Sicherung der Sozialleistungen des Staates verwendet. Der Luxussteuersatz beträgt bis zu 180%. 4)

Die Konsumsteuer ist eine Mehrwertsteuer von 100% auf den Nettopreis jeder Wahre oder Dienstleistung. Götz Werner 5), der dieses Konzept ausgearbeitet hat und vertritt, rechnet vor, dass der Endpreis der Waren sich dadurch nicht verändern würde, wenn im Gegenzug Lohnnebenkosten, Einkommenssteuer und alle anderen Steuern wegfallen, die derzeit in Deutschland 50% des Warenverkaufspreises ausmachen. 6)

Andere Befürworter des BGE halten es für möglich, die Kosten des BGE durch eine Neuregelung der Einkommenssteuer zu decken. Davon ausgehend, dass Arbeitnehmer mit einem deutlich geringeren Nettolohn auskommen können, wenn sie „nur“ die Finanzierung ihres Luxusanspruches erwirtschaften müssen, ist eine Erhöhung der Einkommenssteuersätze ohne weiteres möglich.
Das Konzept von Thomas Straubhaar (HWWI) und Dieter Althaus (CDU Thüringen), weist hier jedoch (meiner Ansicht nach) deutliche Mängel auf. Zum Einen ist das „bedingungslose solidarische Bürgergeld“ 7) nicht bedingungslos, da es am Einkommen bemessen unterschiedlich hoch ausfallen soll, zum Anderen ist es nicht solidarisch, da Besserverdienende (über 1600 Euro im Monat) sich nur mit einem Einkommenssteuersatz von 25% an der Finanzierung des BGE und anderer Staatsausgaben beteiligen sollen, während Geringverdiener (bis 1600 Euro im Monat) mit 50% EkSt belastet werden sollen. Zumal das solidarische Bürgergeld lediglich 600 Euro für Erwachsene und 300 Euro für Kinder zuzüglich 200 Euro Sozial- und Krankenversicherungsbeitrag betragen soll. Diese Sätze liegen unter den aktuellen HartzIV-Sätzen und sind somit nicht in der Lage, eine menschenwürdige Existenz zu garantieren.
Die Idee dahinter ist, weiterhin einen Anreiz zu bieten, hochdotierte Stellen anzunehmen und Leistung zu zeigen. Die Abhängigkeit vom Arbeitgeber würde nicht gemindert, sondern erhöht, die Kluft zwischen Arm und Reich würde nicht geringer, sondern größer, was die grundsätzliche Idee hinter dem BGE also ad absurdum führt.

Was mir persönlich immer wieder auffällt, ist das Fehlen sinnvoller Konzepte zu Renten und Kranken- und Sozialversicherungen.
Nach dem thüringischen CDU-Konzept sollen diese Leistungen nach und nach vollständig privatisiert werden, was dem Sinn und Zweck der Existenzsicherung des BGE meines Erachtens deutlich widerspricht.
Ich halte es eher für sinnvoll, eine Grundabsicherung für alle Bürger auf Basis des derzeitigen Standards der gesetzlichen Kassen verpflichtend einzuführen.
Somit würden die Besser- und Hochverdiener sich ihrer solidarischen Verpflichtung dem Volk ihres Landes gegenüber nicht mehr entziehen können, wie sie es derzeit über die PKV-Anbieter tun. Eine Verbesserung der medizinischen Absicherung könnte auch dann noch immer über private Gesellschaften möglich und jedem Menschen mit diesem Bedürfnis an Sicherheit zugänglich gemacht werden.

Ich halte einen allgemeinen EkSt-Satz von 60% für alle Bezüge aus selbständiger wie nichtselbständiger Arbeit aller deutschen Bürger für durchführbar. Ein Drittel davon (also 20% des Bruttoeinkommens) sollte in einen Sozialversicherungs-“Topf“ fließen, um einen vertretbaren Standard an Kranken- und Pflegeversicherungsleistungen zu gewährleisten (derzeit liegt der Satz bei 16,4% des Bruttoeinkommens, wird jedoch nur von gesetzlich Versicherten gezahlt!), während die übrigen zwei Drittel (also 40% des Bruttoeinkommens) zusammen mit einer Luxussteuer zur Finanzierung des BGE aufgewendet werden.


Weitere Gelder kommen aus den Einsparungen im bürokratischen Apparat durch Wegfallen von Genehmigungs- und Beurteilungsverfahren bei ALG1, ALG2, BAFöG, Wohngeld, Kindergeld, 400-Euro-Jobs etc.
Der Hauptteil der Finanzierung jedoch kommt aus dem Wegfall eben dieser Leistungen, die einen beträchtlichen Anteil an den aktuellen Ausgaben des deutschen Staates haben.

Die Bearbeitung von Steuererklärungen wird für Steuerzahler und Finanzamt einfacher, weil es keine unterschiedlichen Steuerklassen, keine Freibeträge, keine Ausnahmen und damit keine (legalen) Schlupflöcher mehr gibt.

Eine Luxussteuer (in Verbindung mit einer Einkommenssteuer) kann zum Beispiel so aussehen, dass die MwSt allgemein auf 35% angehoben und für Waren und Dienstleistungen des existentiellen Bedarfs (Miete, Lebensmittel, Kleidung, ÖPNV, Zeitungen, Telefon, Internet u.ä.) auf 15% gesenkt wird.

Um die Einkommensverhältnisse von Selbständigen und Freischaffenden beurteilen zu können, könnte jeder Selbständige sich selbst (ähnlich wie bisher bereits bei Einzel-GmbHs üblich) als Geschäftsführer seiner Firma einstellen und sich monatlich per Privatentnahme ein – gerne wechselndes – Gehalt zahlen und versteuern. Alle nicht entnommenen Überschüsse würden als Rücklagen verbucht und – ähnlich wie bisher – ab einer bestimmten Höhe mit einer Gewerbesteuer belegt werden.
Durch die deutliche Vereinfachung des Lohnsteuergesetzes jedoch wäre das ein geringer Aufwand, der zusammen mit der monatlichen oder quartalsweisen Umsatzsteuervorabrechnung erledigt werden kann.
Dadurch, dass die sogenannten „Lohnnebenkosten“ - also zum Beispiel der Arbeitgeberanteil an den Kranken- und Sozialversicherungsbeiträgen wegfällt, könnte eine höhere Gewerbesteuer gerechtfertigt werden. Da dies aber eine kommunale Steuer ist, würde sie den Regionen vor Ort zu Gute kommen und nicht zur Finanzierung des BGE herangezogen werden können.

Ob die von mir genannten Einsparungen und Einnahmen ausreichen, um ein BGE von 1000 Euro pro Person (500 Euro für Kinder) zu finanzieren, kann ich nicht sagen, da mir Daten und Möglichkeiten zur Berechnung fehlen.
Götz Werner legt Berechnungen vor, aus denen ersichtlich sein soll, dass sein Modell finanzierbar ist. Ich kann das nicht nachrechnen und nicht beurteilen. Auch bei Werner fehlt mir eine staatlich garantierte Kranken- und Sozialversicherung. Errungenschaften, auf die ein modernes Deutschland, das mittels des BGE den Versuch wagt, mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen, meiner Ansicht nach nicht verzichten darf.

Ich denke, es ist möglich, ein BGE auf diese oder eine ähnliche Art und Weise zu installieren.
Wichtig ist dabei vor Allem, dass der Grundgedanke nicht aus den Augen verloren wird: Die Kluft zwischen Arm und Reich soll verringert werden, die Wirtschaft soll durch motivierte und qualifizierte Arbeitnehmer und durch zahlungsfähige, bewusste Konsumenten gestärkt werden.

Dennoch müssen noch viele weitere Punkte bedacht und in ein solches Konzept eingebaut werden.
Wie zum Beispiel die Unpfändbarkeit des BGE, aus der sich natürlich auch ergibt, dass das BGE nicht als Sicherheit für Kredite angegeben werden darf.
Außerdem sollte ein Mindestlohn der Gefahr der Ausbeutung entgegenwirken. Aufgrund der höheren Belastung durch die Einkommenssteuer sollte dieser (brutto) nicht viel niedriger angesetzt werden, als ohne BGE.
Die staatliche Rente sollte nicht abgeschafft werden, die Rentenkassen könnten jedoch durch das BGE stark entlastet werden.
Das Kündigungsgesetz sollte in keine Richtung aufgeweicht werden. Auch ein Arbeitnehmer, der einer Tätigkeit nachgeht, um sich den Luxus einer Hausfinanzierung leisten zu können, braucht seinen Job. Gerade wenn es am Arbeitsmarkt schwierig wird, Bewerber um eine Stelle mit unangenehmer Tätigkeit zu finden, braucht ein Arbeitgeber die Einhaltung von Fristen, um vakant werdende Positionen neu zu besetzen.
Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle sollte ebenfalls bleiben wie sie ist. Nur mit dem Unterschied, dass nach einem Jahr Krankengeldbezug kein ALG1, sondern eben nur noch das BGE (evtl. zuzüglich zusätzlicher Pflegeleistungen) ausgezahlt wird.

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